Wortgestalter in Mediengestalt
Seit einer Stunde sind wir in der Theaterkantine des Bochumer Schauspielhaus. Um uns herum Bühnenarbeiter, Musiker, Schauspieler, bekannte Gesichter manchmal. Sie steigen klaglos über unsere Kisten, ein Videoteam ist nichts Besonderes hier. Es gehört zu den Vorzügen der Dokumentarfilmerei, hinter den Kulissen willkommen zu sein, zumindest geduldet. Wir dürfen Einblicke nehmen, die nicht jedermann gestattet sind. Aber das Theater ist nicht unser Thema, es ist diesmal nur der Ort, an dem wir einen Schriftsteller treffen werden; er arbeitet hier als Nacht-Portier.
Video-Still aus der Lesung von Wolfgang Welt in Bochum.
Diese Begegnung ist eine von drei Dutzend mit Wortkünstlern, die irgendwie mit Westfalen verbunden sind. Wir sprachen miteinander, sie standen Rede und Antwort, erzählten Anekdoten. Die überraschenden Einsichten der Autoren regten uns an, warfen neue Fragen auf. Einiges dieser Begegnungen wurde zu Videomaterial. Es ist vollständig auf www.literaturportal-westfalen.de veröffentlicht.
Aber damit nicht genug. Das Videomaterial der Autoren-Interviews sollte in adäquater Weise in die am 17.07.2011 begonnene Literaturausstellung "Ich schreibe, weil..." im Kulturgut Nottbeck einfließen.
Westfälische Autoren in der Video-Installation "Ich schreibe, weil..." in Nottbeck.
Üblicherweise werden aus Filmaufnahmen Filme. Es gibt ästhetische Konventionen, die uns lehren, wann wir es mit einem Dokumentarfilm, wann mit einem Spielfilm oder wann mit filmischen Experimenten zu tun haben. In Dokumentarfilmen sind Aussagenstrecken eine solche ästhetisch-dramaturgische Konvention und ein Standardverfahren der Gattung Feature im Hörfunk und im Fernsehen. Sie können dialogisch, narrativ, konfliktär, assoziativ montiert sein. Ziel ist immer, aus Fragmenten in einer Zusammenschau weitergehende Erkenntnisse zu ziehen. Im Zusammenspiel des Heterogenen wird das Zwischen-den-Zeilen aktiviert. Wir haben die befragten Autoren in dieser Weise auf der DVD und in der Ausstellung ins filmische Gespräch gebracht.
Hinzu kommt: Filmische Darstellungsformen haben seit langem das Kino und das Fernsehen verlassen, sind auch zu einem probaten Mittel in Museen geworden. Im Museum hat man es aber mit real Räumen zu tun, die durch Bildschirme und Projektionsflächen gestaltet werden. Künstler haben dieses Problem durch Videoskulpturen und Environments thematisiert. Im Vorfeld der Ausstellung wurden Ausstellungskonzepte ausgewertet, vieles aber gleich als unbezahlbar verworfen, an manchem konnte man anknüpfen. Das Ergebnis dieser Diskussion war eine Mixmedia-Assemblage, die außer der Informationsvermittlung auch einen eigenständigen crossmedialen Ausdruck entwickeln soll.
"Ich schreibe, weil..." Die erste von 11 Interview-Sequenzen zu thematischen Schwerpunkten.
Die Mixmedia-Assemblage ist kein Werk eines Einzelnen, sie ist aus Diskussionen entstanden. Teilelemente wurden erdacht, verworfen, modifiziert, wieder eingebracht. Der traditionelle Werkbegriff kann auf diese Installation kaum angewandt werden.
Um einem Missverständnis zu begegnen: Die Installation will keine Kunst sein, sie ist komplex gestaltete Information. Sie ist andererseits kein Infotainment. Sie fordert auf, sich einzulassen, Erfahrungen zu machen: Hinschauen und zuhören, nachdenken, sich auseinandersetzen, zustimmen oder ablehnen, etwas genießen oder sich ärgern - und aufmerksam machen für Literatur.
Die Ausstellung "Ich schreibe, weil... Was Sie schon immer über Dichter wissen wollten und sich nicht zu fragen trauten. Eine intermediale Performance." läuft im Museum für westfälische Literatur (Kulturgut Nottbeck) noch bis zum 09.10.2011.
von Thomas Strauch (Auszug aus "Wortgestalter in Mediengestalt" erschienen in "Ich schreibe, weil..." (Hg. Walter Gödden, Thomas Strauch; Aisthesis, 2011)