Das Authentische im Dokumentarfilm
Ereignisse nicht inszenieren, den Dingen ihren Lauf lassen, die Kamera vergessen machen: Studierende der Universität Paderborn unterwarfen sich diesem Diktum der dokumentarfilmischen Ausrichtung des Direct Cinema im Wintersemester 2008/09.
Im gleichnamigen Seminar Die Kamera vergessen machen – Direct Cinema machten sich 6 Projektgruppen auf die Suche nach authentischen Geschichten aus dem Leben.
Zur Vorgeschichte: Anfang der 1960er Jahre forderte eine Gruppe junger Dokumentaristen eine Abwendung von dem zu dieser Zeit herrschenden Dokumentarfilm, der mit statischen Kameras nie richtig nah an seine Protagonisten heran kam. Forciert durch die technische Entwicklung mobiler Kameras und tragbarer, vom Bild entkoppelter Tonaufzeichnungsgeräte radikalisierten die Filmemacher das Prinzip des „Nichteingreifens“ und versuchten einen unmittelbaren und direkten Zugang zur Realität zu zeigen. Diese filmische Befreiung löste einerseits starken Enthusiasmus aus, brachte den Dokumentarfilmern aber auch massive Kritik im Hinblick auf die Darstellbarkeit von Wirklichkeiten ein.
In "Christinas "Stadt.Land.Pop" wird die Protagonistin von der Kamera durch ihren Arbeitstag begleitet.
Die Direct-Cinema-Filmemacher versuchten reale Personen in ungestellten, authentischen Situationen - bevorzugt Menschen in Entscheidungssituationen - zu filmen. Sie gingen ohne feste Pläne und Absichten in den Dreh, um die Ereignisse im Prozess der Entstehung spontan auf Film und Tonband zu bannen. Trotz dieses eher puristischen Ansatzes mussten sich Regisseure wie z.B. Richard Leacock und D.A. Pennebaker mit einer der grundlegenden Fragen des Dokumentarfilms auseinander setzen. Wie viel Einfluß hat die Anwesenheit der Filmkamera auf die Menschen und deren "Lebensrealität"?
"Reifen und Musik" zeigt Fabian an seinem Arbeitspatz und beim Konzert mit seiner Oi-Punkband.
Die hier präsentierten Filme aus dem Direct Cinema-Seminar geben darauf keine Antwort. Sie zeigen jedoch wie schwierig es ist, sich einem Menschen - mit Kamera und Mikrofon bewaffnet - auf Augenhöhe zu nähern.
Carsten Engelke; 06.04.2011